Friedrich Geiger (* 24. November 1907 in Süßen; † 13. Juni 1996 in Bad Überkingen) war ein deutscher Automobilkonstrukteur und langjähriger Chefdesigner bei Mercedes-Benz, für die er unter anderem den Flügeltüren-Sportwagen 300 SL entwickelte.
Friedrich Geiger prägt den Stil einer Epoche des deutschen Automobildesigns. Von ihm stammen beispielsweise die atemberaubenden Formen der Serienversion des Mercedes-Benz 300 SL. Öffentlich tritt der am 24. November 1907 geborene Designer zwar kaum in Erscheinung. Aber viele seiner Entwürfe, umgesetzt als Serien-Pkw von Mercedes-Benz, begeistern bei ihrer Vorstellung Publikum und Fachleute gleichermaßen und werden später zu legendären Klassikern. Entsprechend ist der Ruf Geigers unter den jüngeren Automobildesignern: „Er schuf zeitlose Formen“, sagt der ehemalige Mercedes-Benz Chefdesigner, Bruno Sacco, 1999 beim Automotive News World Congress über Geiger.
Friedrich Geiger wird im April 1933 als Konstrukteur von der Daimler-Benz AG eingestellt. Der in Süßen geborene Schwabe ist gelernter Stellmacher und hat sich nach der Handwerksausbildung durch ein Studium für seine neue Aufgabe weiter qualifiziert.
Er arbeitet in der Abteilung Sonderwagenbau, wo er unter anderem dafür verantwortlich ist, jene luxuriösen Mercedes-Benz Sportwagen zu entwerfen, die von der Stuttgarter Marke selbst eingekleidet werden. Der Name „Sindelfinger Karosserie“ wird durch diese Modelle zum Qualitätssiegel für Automobildesign von Mercedes-Benz. Seine doppelte Begabung als Techniker und als Mensch mit einem Sinn für Ästhetik und Proportionen kann Geiger gerade im Sonderwagenbau überzeugend unter Beweis stellen. So geht die Karosserie der Spezial-Roadster der berühmten Typen 500 K/540 K (W29) auf Geiger zurück. Aber auch besonders gepanzerte Limousinen der Typen Großer Mercedes (W07 und W150) und 540 K entstehen auf seinem Zeichenbrett.
Zunächst scheidet der Designer im April 1948 aus seinem Arbeitsverhältnis bei der Daimler-Benz AG aus. Geigers große Zeit beginnt jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er-Jahren, als er im Karosserieversuch Karl Wilferts in Sindelfingen die Abteilung Stilistik aufbaut und leitet. Werner Breitschwerdt, der spätere Chefingenieur und Vorstandsvorsitzende, schätzt Geiger rückblickend sehr wegen seiner kreativen und schöpferischen Kraft und seines Blicks über den Tellerrand hinaus, während Karl Wilfert, der immer Künstler sein will, eher der visionäre Techniker und Motor der passiven Sicherheit ist.
Diese Abteilung Stilistik ist ein Kind der 1950er Jahre. Ihre Aufgabe: Die Entwurfsprozesse neuer Mercedes-Benz Automobile zu überwachen sowie Leitlinien für die Formgebung zu entwickeln und zu formulieren. Nach wenigen Jahren übernimmt Geiger die Leitung der Abteilung Stilistik. Zu seinen Mitarbeitern gehört unter anderem Bruno Sacco, der – geprägt von Friedrich Geiger – Stil und Ästhetik der Mercedes-Benz Modelle kommender Jahrzehnte mitbestimmten wird. Auch Paul Bracq zählt zu den Mitarbeitern Geigers.
Geiger ist ein Mensch mit eiserner Disziplin und Strenge – Eigenschaften, die dazu führen, dass er unterschiedlich wahrgenommen wird. Zur Disziplin gehört sein tägliches einstündiges Schwimmen morgens im Mineralbad in Bad Cannstatt, bevor er ins Büro geht. Arbeitsbeginn im Werk Sindelfingen ist um sieben Uhr.
Zu den herausragenden Arbeiten Geigers aus dieser Zeit zählen die Sportwagenmodelle. Sein großer, wenn nicht überhaupt sein bedeutendster Erfolg ist der Mercedes-Benz 300 SL (W 198), der berühmte Flügeltürer, vorgestellt 1954 in New York. Es gelingt dem Meister des Autodesigns, die Technik eines Straßenrennwagens mit der Hülle eines atemberaubenden Gran Turismo zu versehen. Für Bruno Sacco ist das Coupé des 300 SL eine der wichtigsten Ikonen des Automobildesigns: „In der Sportwagengeschichte gibt es nur wenige andere Beispiele für die erfolgreiche Kombination von Leistung und Überlegenheit mit einer harmonischen und gleichzeitig starken Linienführung“, sagt Sacco 1999 in Detroit. Die Beschränkungen durch die Geometrie des Gitterrohrrahmens wendet Geiger bei diesem ersten Modell des SL-Stammbaums zur Tugend und entwirft statt herkömmlich angeschlagener Türen die berühmten Flügeltüren des großartigen Coupés. Er ist auch verantwortlich für den charakteristischen Stern, den der 300 SL in der Mitte der Front als Luftöffnung trägt.
Mit einem Zeitversatz von nur einem Jahr entwirft Geiger dann auch schon erste Karosserien für den nachfolgenden 300 SL Roadster, der 1957 auf dem Genfer Auto-Salon vorgestellt wird. Mit seinem Entwurf des Oberklassefahrzeugs der Baureihe W 111 setzt er sich gegenüber von Entwürfen der Kollegen Hermann Ahrens und Walter Häcker durch.
Am 1. Januar 1969 wird Geiger schließlich zum Hauptabteilungsleiter in der Direktion Stilistik ernannt. Bis zu seiner Pensionierung am 31. Dezember 1973 entwirft Geiger zahlreiche herausragende Limousinen, Coupés, Cabriolets und Roadster für Mercedes-Benz:
Ein Entwurf von zeitloser Eleganz gelingt ihm mit der Coupévariante der Typen 220 SE und 300 SE (W111/W112), die 1961 zunächst als 220 SE präsentiert wird. In seiner formalen Endgültigkeit erreicht dieses Coupé große Bedeutung im Schaffen Geigers. Der Mercedes-Benz 600 (W100) mit seiner kantigen, zurückhaltenden Formensprache ist ebenfalls sein Werk. Die starke Verwendung von Chrom entspricht dabei eher dem Geschmack der Entwicklungsvorstände Fritz Nallinger und – später – Hans Scherenberg. Aber auch die ruhige und klare Linienführung der Oberklassefahrzeuge der Baureihe W108/109 sowie der oberen Mittelklasse der Baureihe W114/115 verraten seinen prägenden Einfluss. Ganz besonders stolz ist Geiger auf das Coupé der Baureihe W114, das er selbst jahrelang fährt.
Das Werk des zurückhaltenden, bescheidenen Mannes überstrahlt die im Archiv verzeichneten dürren Rahmendaten seiner Biografie. Das passt zum Auftreten des Designers während seiner Zeit als Leiter der Mercedes-Benz Stilistik: Friedrich Geiger setzt auf Teamarbeit und Engagement, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Günter Engelen schildert in seinem zum 100. Geburtstag Geigers in der Zeitschrift Mercedes-Benz Classic erschienenen Portrait den Designer entsprechend: „Friedrich Geiger war der Typus des zurückhaltenden Dirigenten, der sein Kammerorchester zu Höchstleistungen anzuspornen vermochte, ohne sich dabei theatralischer Gesten bedienen zu müssen.“
Als Friedrich Geiger in den Ruhestand geht, kann er für sich in Anspruch nehmen, die Formensprache der Mercedes-Benz Personenwagen während vier Jahrzehnten und ganz besonders die der bis dahin gebauten SL-Modelle entscheidend gestaltet und geprägt zu haben. Bruno Sacco wird 1975 zu Geigers Nachfolger als Oberingenieur und Leiter der Hauptabteilung Stilistik ernannt. Geiger stirbt am 13. Juni 1996 in Bad Überkingen.
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